Warum sich Türken gegen Erdogan wehren

Von Alexander Müller veröffentlicht am 17. Juni 2013 | 4.051 mal gesehen

Ursprünglich ging es um eine Demonstration gegen die Abholzung von Bäumen im Gezi-Park in Istanbul, die einem gigantischen Bauprojekt für ein Einkaufszentrum weichen sollten. Nachdem die Polizei gewaltsam das Lager der Demonstranten auflöste, kam es zu Protesten  gegen das Vorgehen der Polizei und das Regime des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Dieser führt die Türkei in einem autoritären Stil, mit religiös-konservativen Zügen. Dagegen wehrt sich nun insbesondere die junge, urbane und säkulare Bevölkerung. Der folgende Filmbericht zeigt weshalb weltliche und liberale Türken gegen das autoritäre Regime von Erdogan protestieren.

Wie ich zudem aus anderen Nachrichtensendungen ersehen konnte, wehren sich einige Leute auch gegen die Islamisierung, die unter der Regierung von Erdogan vorangetrieben wurde. Eine Frau und ein Mann äusserten sich in einer deutschen Nachrichtensendung dahingehend, dass sie es satt hätten, von Erdogan vorgeschrieben zu erhalten wie viele Kinder sie zu bekommen hätten, wie sie zu verhüten hätten und wie sie zu leben hätten. Andere wehren sich gegen ein von Erdogan eingeführtes Kussverbot in der Öffentlichkeit.

Erdogan versammelte derweil seine Anhänger um sich um Stärke zu demonstrieren. Mich erinnerten die Bilder dieser Pro-Erdogan-Versammlung an Pro-Gaddafi-Versammlungen in Tripolis. Mit einem Unterschied, Gaddafis Leute hatten grüne Fahnen, Erdogans Leute haben rote Fahnen.

Nach meiner Einschätzung haben die Türkei und zahlreiche Staaten im Nahen Osten und im Norden Afrikas einen enormen Nachholbedarf in Sachen Menschenrechte. In Europa gibt es mindestens seit der Aufklärung einen Prozess, der zur Säkularisierung und Demokratisierung der Staaten und zur Entwicklung von Menschenrechten beiträgt. Der Geist der Aufklärung beschränkte sich bisher jedoch weitgehend auf Europa und von Europäern dominierte Gebiete wie Amerika und Australien. Beim Rest der Welt besteht nach wie vor ein grosser Nachholbedarf. Die Globalisierung und der technologische Fortschritt, wie z.B. das Internet, wird den Druck auf autoritäre und totalitäre Regime weiter erhöhen.

PS: Atatürk soll übrigens Agnostiker gewesen sein, wie ich. 😉

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2 Gedanken zu „Warum sich Türken gegen Erdogan wehren“

  1. Wenn ich richtig verstanden habe, richten sich die Proteste in der Türkei insbesondere gegen ein umstrittenes Bauvorhaben im Istanbuler Zentrum. Erdogan wolle sich damit ein Denkmal mit Reminiszenz an das Osmanische Reich schaffen und damit «die Geschichte wieder auferstehen lassen».

    Ein Imitat der Topçu-Kaserne, die bis 1940 auf dem Gelände des Geza-Parks stand, solle nachgebildet und ein Einkaufszentrum integriert werden. Dazu liess er die Rodung von rund 600 Bäumen im Istanbuler Gezi-Park anordnen.

    Der renommierte Historiker Dogan Kuban kritisiert Erdogan für seine Ignoranz. Er würde systematisch alle Gebäude zerstören, die an eine sakulär geprägte Türkei erinnerten: «Das Einzige, was die Regierung erhält, sind die Moscheen», sagt der Istanbuler gegenüber der «International Herald Tribune».

    Dass Erdogan zusätzlich das Atatürk-Kulturzentrum in Istanbul abreissen will, um Platz für eine neue Moschee zu schaffen, stösst daher bei einem Grossteil der Bevölkerung auf Widerstand, da Atatürk ungebrochenen Heldenstatus geniesst,

  2. Ja Ingrid, das habe ich auch gelesen und zwar hier:

    Erdogan will sich mit Riesen-Moschee verewigen

    Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass Erdogan das Atatürk-Kulturzentrum durch eine Moschee ersetzen möchte. Atatürk soll ja Agnostiker gewesen sein, gut möglich, dass Erdogan deshalb dessen Denkmäler abreisen und ersetzen möchte. Ich teile diesbezüglich die von dir zitierte Einschätzung des Architektur-Historikers Dogan Kuban.

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