Pressefreiheit versus Persönlichkeitsrecht

Von Alexander Müller veröffentlicht am 2. Januar 2016 | 2.263 mal gesehen

In BGE 1B_169/2015 haben Schweizer Bundesrichter die Brückenfunktion der Medien betont. Sie haben Gerichtsberichterstattern bei Gerichtsverhandlungen deswegen eine Besserstellung gegenüber dem übrigen Publikum eingeräumt. Leider versäumten sie es, die besondere Verantwortung der Medien in Bezug auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte zu berücksichtigen und einen ausgewogenen Entscheid zu fällen.

Dass die Medienschaffenden ihrer zugedachten Brückenfunktion in der Praxis oft nicht gerecht werden, beweist der ehemalige NZZ-Korrespondent Markus Felber mit den Artikeln „Alles was Recht ist“ und „Zwei Pflöcke für die Pressefreiheit„. Beide NZZ-Artikel betreffen die Sache, von der hier die Rede ist. Sie werden dem Sachverhalt jedoch nicht gerecht und führen die Leser in die Irre. Als Betroffener, werde ich den Sachverhalt deshalb in diesem Artikel korrekt darlegen.

Sachverhalt

Im Mai 2014 fand die erstinstanzliche Gerichtsverhandlung in Sachen Kristallnacht-Tweet statt. Ich hatte diesen Tweet rund zwei Jahre zuvor im Juni 2012 verfasst und wieder gelöscht. Es kam damals im Juni 2012 zu einem regelrechten Medienhype, der dazu führte, dass ich meine Arbeitsstelle verlor und in der Folge über ein Jahr arbeitslos war. Zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Gerichtsverhandlung in Sachen Kristallnacht-Tweet hatte ich erst gerade wieder seit wenigen Monaten eine neue Arbeitsstelle. Wobei in meinem neuen Arbeitsvertrag festgehalten war, dass ich jederzeit gekündigt werden kann, sollte es wieder einen solchen Medienhype gegen mich geben.

Die Gerichtsverhandlung im Mai 2014 bot den Medien natürlich wieder Gelegenheit um über mich zu berichten. Die Nebenkläger, welche vom medienbekannten Rechtsanwalt David Gibor vertreten wurden, kündigen zudem an, eine grosse Anzahl Zuschauer mitzubringen. Sie wollten damit meiner Meinung nach bei den Richtern und Journalisten den Eindruck erwecken, dass ein grosses öffentliches Interesse an der Gerichtsverhandlung über den Tweet besteht. Ich machte die Beobachtung, dass ausser den Nebenklägern und den Mitgliedern ihres Vereins sowie den Medienleuten kein grosses Interesse mehr an der Sache bestand. Viele wussten zum damaligen Zeitpunkt gar nicht mehr um was es ging. Im Gerichtssaal waren ausser den linken Medienvertretern, den Richtern, dem Staatsanwalt, meinem Verteidiger sowie seiner Assistentin und mir kaum Schweizer anwesend. Die Mehrheit der Zuschauer waren Migranten aus der Türkei respektive Mitglieder des Vereins „Türkische Gemeinschaft Schweiz„.

Weil ich einen neuen Medienhype befürchten musste und meine Arbeitsstelle nicht gerade wieder verlieren wollte, es ging um meine Existenz, machte ich gegenüber dem Bezirksgericht Uster mein Recht auf Persönlichkeitsschutz geltend. – Mir wurde schliesslich kein Schwerverbrechen zur Last gelegt. Mir wurde wegen eines Tweets, der rund zwei Jahre zuvor verfasst wurde, der Prozess gemacht! Das rechtfertigte meiner Meinung nach kein übergeordnetes öffentliches Interesse und somit auch keine identifizierende Medienberichterstattung, die meine Existenz und meine berufliche Karriere bedroht. Mein Interesse zur Wahrung meiner Persönlichkeitsrechte wog somit höher. Zudem war meine Sorge betreffend Medienberichterstattung berechtigt, weil ich ja bereits einmal deswegen meine Arbeitsstelle verloren hatte.

Der Bezirksrichter teilte meine Einschätzung und erliess die folgende Verfügung:

Verfügung Bezirksgericht Uster vom 16. Mai 2014
Verfügung Bezirksgericht Uster vom 16. Mai 2014

Rechtliches

Laut Art. 69 StPO sind Verhandlungen vor dem erstinstanzlichen Gericht und dem Berufungsgericht sowie die mündliche Eröffnung von Urteilen und Beschlüssen mit Ausnahme der Beratung öffentlich. Gemäss Art. 70 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) kann das Gericht die Öffentlichkeit jedoch GANZ oder TEILWEISE ausschliessen! Es kann Gerichtsberichterstatter jedoch selbst bei Gerichtsverhandlungen, bei denen die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, unter bestimmten Auflagen zulassen.

Art70StPO
Art. 70 StPO

Subjektive Sichtweise der Bundesrichter

Beim Bundesgerichtsentscheid ging es um die Frage ob es erlaubt ist einzig Gerichtsberichterstattern, nicht aber dem übrigen Publikum, Auflagen zu erteilen. Das kann Sinn machen, da Medien natürlich eine ganz andere Verantwortung haben als das normale Publikum. Auch Fahrzeuglenker haben z.B. aufgrund ihrer höheren Verantwortung mehr Auflagen als Beifahrer! Da das Gesetz diese Frage jedoch offen lässt und sie nicht Tubelisicher im Gesetz geregelt ist, haben der Bezirksrichter und die Bundesrichter nach richterlichem Ermessen entschieden. Sie sind dabei zu verschiedenen Schlüssen gekommen, was bei Juristen häufig vorkommt. Aufgrund von Art. 70 Abs. 3 StPO sieht das Bundesgericht eine Besserstellung von Gerichtsberichterstattern gegenüber normalen Zuschauern.

Aus BGE 1B_169/2015

Die Bundesrichter kassierten die Verfügung des Bezirksrichters, weil diese ihrer Ansicht nach die Gerichtsberichterstatter schlechter stellte als die übrigen Prozessbeobachter. Sie betonten dabei die Brückenfunktion der Medien in Bezug auf die Berichterstattung über Gerichtsverfahren. Ich erachte den Entscheid der Bundesrichter für unausgewogen. In der Strafprozessordnung wird Gerichtsberichterstattern aufgrund der Brückenfunktion zwar eine Besserstellung zuerkannt, jedoch kann diese ausdrücklich mit Auflagen versehen werden. Ausserdem berücksichtigt das Bundesgericht die besondere Verantwortung der Gerichtsberichterstatter nicht. Die Bundesrichter erwähnen zwar die Brückenfunktion der Medien in Bezug auf die Wahrung des öffentlichen Interesses, versäumen es aber abzuwägen ob es dazu wirklich erforderlich ist meine Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Die Verfügung des Bezirksrichters verbot den Gerichtsberichterstattung ja nicht über das Gerichtsverfahren zu berichten. Sie untersagte ihnen nur, identifizierend darüber zu berichten.

Aus BGE 1B_169/2015
Aus BGE 1B_169/2015

Der Entscheid der Bundesrichter ist rücksichtslos!

Die Bundesrichter stellten die Sonderstellung der Medienvertreter über mein berechtigtes Interesse auf Persönlichkeitsschutz und damit über mein Existenzrecht. Dies, obschon das gar nicht erforderlich war. Viele Medien verzichteten bei ihrer Berichterstattung über das Verfahren wegen des Tweets bereits freiwillig auf meine namentliche Nennung, darunter auch die NZZ und der Tagesanzeiger. Die Bundesrichter haben mit ihrem unausgewogenen Entscheid massgeblich dazu beigetragen, dass sich das änderte und meine Persönlichkeitsrechte weiterhin massiv verletzt werden. Einige Medien, die vorher auf meine namentliche Nennung verzichtet hatten, begannen nach dem Bundesgerichtsentscheid wieder damit mich namentlich zu nennen. So zum Beispiel die NZZ. Es ist den Bundesrichtern offensichtlich scheissegal ob ich von verantwortungslosen Medien wegen einem Tweet zugrunde gerichtet werde oder nicht. Dies obwohl ihnen bewusst war, dass kein aktuelles Interesse an der Aufhebung der Verfügung bestand!

BGE
Aus BGE 1B_169/2015

Wichtig!

Bei diesem Entscheid ging es nicht um die Frage ob ich eine Person der Zeitgeschichte bin oder nicht bzw. ob ich weiterhin namentlich genannt werden darf oder nicht. Es ging um die Verfügung vom 16. Mai 2014 bzw. um die Frage ob es erlaubt ist einzig Gerichtsberichterstattern nicht aber dem übrigen Publikum Auflagen zu erteilen. Da das Gesetz das offen lässt und es nicht Tubelisicher im Gesetz geregelt ist, haben der Bezirksrichter und die Bundesrichter nach richterlichem Ermessen entschieden. Wobei die höher gestellten Bundesrichter den Sachverhalt anders beurteilten als der Bezirksrichter. Ich bin der Meinung, dass es gerechtfertig ist, einzig Gerichtsberichterstattern Auflagen zu erteilen. Auflagestarke Zeitungen können mehr Schaden anrichten als einfache Zuschauer. Journalisten haben dadurch eine viel grössere Verantwortung. Fahrzeuglenker müssen auch Vorschriften bezüglich Alkoholkonsum einhalten und über einen Führerausweis verfügen, während das ihre Beifahrer nicht müssen und das macht Sinn. Leider haben das die Bundesrichter nicht kapiert oder, was wahrscheinlicher ist, sie wollten es aufgrund persönlicher Vorbehalte gegenüber meiner Person nicht kapieren. So, liebe Leser, wird in der Schweiz Recht gesprochen!

Die Aufhebung der Verfügung vom 16. Mai 2014 betrifft lediglich die Medienberichterstattung über die erstinstanzliche Gerichtsverhandlung. Es ist kein Freipass für weitere Persönlichkeitsverletzungen!

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