Ist ein Tweet ein aussergewöhnliches Ereignis?

Von Alexander Müller veröffentlicht am 10. Dezember 2015 | 1.724 mal gesehen

Das Persönlichkeitsrecht ist ein wichtiges Grundrecht, welches eine Person vor Eingriffen in ihren Lebens- und Freiheitsbereich schützen soll. Es beinhaltet das Recht auf Ehre, das Recht am eigenen Bild, Schutz vor Ehrverletzug, Verleumdung usw. In der Schweiz wird der Schutz der Persönlichkeit zivil- und strafrechtlich geschützt. Im zivilrechtlichen Bereich wird das Persönlichkeitsrecht unter Artikel 28 ff ZGB geregelt. Wer nach Art. 28 ZGB Abs. 1 in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen. Eine Persönlichkeitsverletzung ist gemäss Art. 28 ZGB Abs. 2 stets widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.

Medien sollten sich bei der Berichterstattung über Personen stets die Frage stellen ob die Verletzung der Persönlichkeitsrechte dieser Personen durch ein übergeordnetes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist oder nicht. Einschränkungen in ihren Persönlichkeitsrechten müssen sich insbesondere sogenannte Personen der Zeitgeschichte gefallen lassen. Obwohl vor dem Gesetz eigentlich jeder gleich sein sollte, billigt die Justiz diesen Personen weniger Persönlichkeitsschutz zu.

Personen der Zeitgeschichte

Personen Zeitgeschichte werden wie bereits erwähnt weniger Persönlichkeitsrechte zugesprochen. Begründet wird dies mit einem übergeordneten öffentlichen Interesse, welches höher gewichtet wird als der Persönlichkeitsschutz der betroffenen Personen. In der Schweiz wird zwischen absoluten Personen der Zeitgeschichte und relativen Personen der Zeitgeschichte unterschieden.

Laut Rechtssprechung des Bundesgerichts ist eine absolute Person der Zeitgeschichte eine Person, die aufgrund ihrer Stellung, ihrer Funktion oder ihrer Leistung im Blickfeld der Öffentlichkeit steht. Eine relative Person der Zeitgeschichte ist eine Person, die durch ein aussergewöhnliches Ereignis in den Fokus der Öffentlichkeit geraten ist und nur dann! Die Verletzung der Persönlichkeitsrechte dieser Person darf nur im Rahmen der Berichterstattung über dieses Ereignis erfolgen.

Auszug aus BGE 127 III 481 (Bundesgerichtsentscheid)
Auszug aus BGE 127 III 481 (Bundesgerichtsentscheid)

Ist ein Tweet ein aussergewöhnliches Ereignis?

Ich geriet aufgrund eines Tweets, der knapp 5 Minuten online war, in den Fokus der Medienöffentlichkeit. Dabei wurden meine Persönlichkeitsrechte so massiv verletzt, dass ich meine Arbeitsstelle verlor. Die Verletzung meiner Persönlichkeitsrechte ist nur dann gerechtfertigt, wenn ich als Person der Zeitgeschichte eingestuft werde und der Berichterstattung über den Tweet ein übergeordnetes öffentliches Interesse beigemessen wird. Eine absolute Person der Zeitgeschichte bin ich eindeutig nicht. Ob ich eine relative Person der Zeitgeschichte bin, hängt von der Antwort auf die Frage ab, ob ein Tweet als aussergewöhnliches Ereignis angesehen werden kann oder nicht. Gesunder Menschenverstand hilft bei der Beantwortung dieser Frage. Ich persönlich bin der Meinung, dass ein Tweet grundsätzlich kein aussergewöhnliches Ereignis ist. Zum einen werden tagtäglich Millionen von Tweets verfasst und zum anderen ist ein Tweet kein Ereignis. Oder ereignen sich die Kurzmitteilungen auf Twitter etwa?

Was tatsächlich aussergewöhnlich war

Als aussergewöhnlich kann die persönlichkeitsverletzende Hetze und Medienberichterstattung über mich wegen eines Tweets angesehen werden. Was da passierte war abartig und völlig abgehoben. Hier stellt sich mir die Frage, ob es gerechtfertigt ist, mich wegen einer persönlichkeitsverletzenden Medienberichterstattung zur relativen Person der Zeitgeschichte zu erklären. Ich finde, dass dies nicht gerechtfertigt ist. Denn dann würde ich ja einzig auf der Grundlage einer widerrechtlichen Handlung, konkret der persönlichkeitsverletzenden Medienberichterstattung, zur Person der Zeitgeschichte.

Differenzierung zwischen Öffentlichkeit und Medienöffentlichkeit

Die Tatsache, dass jemand seine Gedanken im Internet z.B. auf einem Blog, auf Facebook oder auf Twitter publiziert, rechtfertigt übrigens auch noch keine Persönlichkeitsverletzung durch die Massenmedien. Anders als viele Massenmedien unterscheidet der Schweizer Presserat zwischen Öffentlichkeit und Medienöffentlichkeit. Laut Presserat findet ein Artikel in einer auflagestarken Zeitung ein wesentlich grösseres und ein ganz anderes Publikum als eine private Website. Letztere verliert sich in den Weiten des Internets und spricht nur wenige speziell an einem Thema Interessierte an. Wenn jemand z.B. privat auf Sadomaso-Sex steht und beruflich als Amtsleiterin eines Sozialamts tätig ist, so geht das niemanden etwas an. Es ist auch Privatsache, wenn eine Sekretärin, die beim Bund arbeitet, privat Pornos dreht. Das geht weder Blickleser noch moralisierende Politiker etwas an! Wenn ein Journalist dann auf die Idee kommt sich bei ihnen im Schlafzimmerschrank zu verstecken um einen Lückenfüller für die Sommerflaute zu finden, so überschreitet er eine Grenze und begeht eine widerrechtliche Handlung. Es geht niemanden etwas an, was sie privat treiben solange sie nichts Kriminelles machen, auch nicht die Blickleser und die Grünen. Wenn sie dann das Bedürfnis verspüren ihre private Neigung im Internet zu publizieren oder sich auf Facebook einer einschlägigen Gruppe anzuschliessen, dann ist das auch noch kein Grund für eine Medienberichterstattung.

Haben Sie heute schon ein aussergewöhnliches Ereignis erlebt? Haben Sie heute schon einen Tweet geschrieben? Denken Sie darüber nach.

Notabene, einige Richter und Journalisten halten eine Kurzmitteilung auf Twitter für eine Rede.

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